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Wenn das Ei plötzlich die Weltpolitik bestimmt

Neu Wulmstorf. Im Weißen Haus von Neu Wulmstorf wird lebhaft gegackert. Man brütet an diesem Aprilsonntag über die Meldungen des Tages, Krisen, überall. Zum Glück geht‘s gleich weiter mit den besten Hits der 70er und 80er, nach dem Wetter und dem Verkehr.

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Die 20.000 weiß gefiederten Legehennen, die hier fröhlich durcheinander tröten, hören tatsächlich Radio. Allerdings nicht, um sich zu informieren oder zu Oldies abzurocken. Sondern als Beruhigungsmittel. „Wenn es ganz still wäre und dann etwas umfällt, reagieren sie schreckhaft“, erklärt Henner Schönecke, der hier, südlich von Hamburg, in vierter Generation einen familiengeführten Geflügelhof betreibt. Meistens laufe NDR 90,3 oder Radio FFN, oder irgendetwas anderes. Nur, sagt Schönecke, der zu seinem Vornamen schon jeden Spruch gehört hat: „Kein Techno.“

Spazierende Hennen im Wintergarten: Gefragt wie nie vor dem

Spazierende Hennen im Wintergarten: Gefragt wie nie vor dem “Super Bowl der Eier”.

Scooter muss also draußen bleiben. Dafür schafft es ein anderer älterer Herr über den Hühnerfunk regelmäßig in die warme niedersächsische Stube, die der Wortherkunft nach ebenfalls so etwas wie ein Oval Office ist. Ein Eierbüro, vielleicht aktuell das deutlich freundlichere. Sein Name: Donald Trump.

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Der US-Präsident, das ist der Mann, der seinem Volk pünktlich zu Ostern wieder bezahlbare Eier im Nest versprochen hat. Der aber nicht halten kann, was er ankündigt. Gerade sind die Eierpreise in den USA auf einen neuen Höchstwert geschnellt. Die Kundschaft legte laut Verbraucherpreisindex im März, trotz zuletzt massiv gefallener Großhandelspreise, in einigen Großstädten bis zu zwölf Dollar für das Dutzend Eier hin. Im Schnitt waren es 6,23 Dollar. Eggflation, so nennen sie das längst in den Vereinigten Staaten. Der „Super Bowl der Eier“ (US-Agrarministerin Brooke Rollins), das Osterfest, droht zur Klatsche zu werden. In den Sozialen Medien geben sich die Amerikaner gegenseitig Tipps, wie man Kartoffeln österlich bemalt.

Vogelgrippe trifft in den USA auf gigantische Hühnerbestände

Not macht erfinderisch. Und die Not, sie ist groß. So groß, dass in Europa Anfragen der US-Regierung eingegangen sind, ob man mit Exporten aushelfen könne. Dänemark, dem man ja eigentlich Grönland entreißen will, wurde genauso um Eier gebeten wie Deutschland. Das Ei als Politikum. Es sind verrückte Zeiten. „Schon spannend“, sagt Schönecke, 52, bis ins vergangene Jahr Vorsitzender des Bundesverbands Ei, den es wirklich unter diesem Namen gibt, bei einer Tasse Kaffee auf seinem Hof. Schon spannend, „dass ein Präsident der USA in seinem Wahlkampf sagt: Ihr könnt mich daran messen, dass der Eierpreis sinkt. Das hat er jetzt nicht ganz geschafft.“

Trump hatte die Teuerung im Allgemeinen und die beim Ei im Besonderen der Biden-Administration in die Schuhe geschoben. Der Ex-Präsident, der bis Ende Januar im Weißen Haus saß, sei dafür verantwortlich, dass wegen der Vogelgrippe zu viele Hühner gekeult worden seien. Den Winter über waren es rund 50 Millionen – das ist einmal der Legehennenbestand Deutschlands. Klar, dass da die Preise steigen. Denn 50 Millionen tote Hühner sind mehr als 40 Millionen Eier, die fehlen – jeden Tag.

Nur: Die Sache war und ist komplizierter. Schuld ist nicht der angebliche Hühnerhenker im Oval Office. Auch nicht Trump. Sondern, so sieht es zumindest Schönecke: die durchschnittliche Betriebsgröße in den USA. „Da werden pro Standort teilweise ein bis zwei Millionen Tiere gehalten. Wenn so einer befallen ist, das ist natürlich eine Wahnsinnsmenge. Das hat Marktrelevanz.“ Ist ein Huhn infiziert, müssen alle getötet werden.

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Ich müsste zehn Tage die kompletten Eier sammeln, um einen Container vollzukriegen. Das ist gar nicht meine Liga.

Landwirt Henner Schönecke

über mögliche Eierlieferungen in die USA

Es sind Dimensionen, die im gemütlichen Neu Wulmstorf weit, weit weg erscheinen. 20.000 Hühner diesseits des Feldwegs und noch einmal 18.000 auf der anderen Seite, dazu ein paar Tausend Legehennen von kooperierenden Landwirten aus der Region, insgesamt gute 50.000 – das ist das Eier-Imperium, über das Schönecke mit seinem Unternehmen gebietet.

Ein Kleinstaat allenfalls, durchschnittliche deutsche Betriebsgröße. Henners Hennen, die vom südostasiatischen Bankivahuhn abstammen, einem Urwaldtier, das den freien Himmel nicht mag, weshalb auf Schöneckes Freilandflächen Pappeln stehen, geben dementsprechend auch nicht genügend Eier, um ernsthaft darüber nachzudenken, nun einen Teil davon in die USA zu verschiffen. „Ich müsste zehn Tage die kompletten Eier sammeln, um einen Container vollzukriegen“, sagt er. „Das ist gar nicht meine Liga.“

Schönecke vermarktet regional, in Hamburg und Umland, das ist seine Liga. Ein Kollege allerdings, erzählt er, habe sich tatsächlich kürzlich informiert, wie er einen Container auf die Reise in die USA schicken könnte. „Ihm wurde gesagt, er müsse, damit er liefern darf, in den Prozess der Kontrolle eintreten. Das dauere dann ungefähr ein Jahr.“ Schönecke lacht, herzhaft und laut. „Dann ist es doch längst vorbei.“

Der Eiermann: Henner Schönecke, 52, mit dem Produkt, das er selbst am liebsten als Spiegelei genießt.

Der Eiermann: Henner Schönecke, 52, mit dem Produkt, das er selbst am liebsten als Spiegelei genießt.

Offenbar hat die Trump-Regierung in ihrer Kopflosigkeit ein paar Dinge nicht bedacht, so viel wird hier gerade klar. Unter anderem: die eigenen Regeln und Vorgaben. Schaleneier müssen gewaschen, gewachst, gekühlt sein, bevor sie in die Vereinigten Staaten eingeführt werden dürfen. Nur ist diese Praxis im EU-Raum weder üblich noch erlaubt. Hier landen die Eier unbehandelt im Supermarkt – weil in den Ställen gute Hygienebedingungen herrschen, die Tiere mehrfach gegen Salmonellen geimpft sind. In den USA gibt es das alles nicht. „Weil es Geld kostet“, sagt Schönecke.

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Die Hürden sind also hoch, der Prozess ist zäh, die US-Preise demnächst, wenn die großen Einzelhändler die aktuellen Gewinnmargen nicht mehr schamlos einsacken, wieder rückläufig. Was zunächst nach einem lukrativen Geschäft klingt, ist in Wahrheit also nicht wirklich das Gelbe vom Ei. Dazu kommt: Europa, das seinen Bedarf nur zum Teil selbst deckt und daher zukauft, hat eigentlich kaum etwas abzugeben. „Im Winter importieren wir auch Eier nach Europa. Wegen der Situation in den USA sind diese Eier aber nicht nach Europa gegangen, sondern direkt dorthin geliefert worden“, sagt Schönecke. Die US-Händler hätten für die Lieferungen, die Europa aus Iran und der Türkei bezieht, kleinere Mengen zudem aus Afrika, einfach deutlich mehr geboten, sagt der gut vernetzte Branchenexperte.

Vor der Eierknappheit kommt die Eierlikörknappheit

Droht am Ende also womöglich sogar uns Deutschen noch der Eier-Engpass? Schönecke, den sie in der Jugend „Hühnerbaron“ nannten, bleibt gelassen. „Das Gute bei Eiern ist: Die Hühner legen jeden Tag wieder ein Ei.“ Klingt schlüssig. Außerdem, sagt Schönecke, bekommt Deutschland aus den Niederlanden zusätzliche Ware geliefert. „Dass wir gar keine Eier mehr haben, ist deshalb sehr unwahrscheinlich.“ Im Extremfall wäre die Marktdynamik so: „Zuerst würde die Industrie die Produktion runterfahren, zum Beispiel Eierlikörproduzenten, weil die Eier zu teuer sind. Und schon hast du wieder genug Eier für den Lebensmitteleinzelhandel.“

Es gibt da eine ganze Menge vertrauensbildender Begriffe, die Schönecke ins Feld führt. Lieferverträge zum Beispiel. Oder: Fixpreise, verhandelt in der Regel für ein Jahr. Die Discounter etwa, die würden deutlich unter Marktpreis einkaufen. Aldi und Lidl bieten die günstigste Zehnerpackung für 1,99 Euro an – dafür bekommt man in den USA mancherorts nur zwei, drei Stück. Eierpreisnotierung, noch so ein sehr deutsches Wort, genauso wie derjenige, der am Spotmarkt, wo Übermengen gehandelt werden, Verkäufer und Käufer zusammenbringt: der Eiermakler.

Eier müssen in den USA gekühlt und gewaschen sein, sonst dürfen sie nicht in den Handel.

Eier müssen in den USA gekühlt und gewaschen sein, sonst dürfen sie nicht in den Handel.

Zurück im Stall von Schönecke, wo sich die Damen mit dem weißen Federkleid einen Hühnerdreck um Marktpreise scheren. Volle oder leere Regale sind ihnen egal. Picken. Radio hören. Eier legen. So geht das, jeden Tag. Zur Begeisterung von Henner Schönecke. „Es ist das einzige tierische Lebensmittel, das unverarbeitet auf dem Frühstückstisch landet“, sagt er. Keine Schlachtung, kein Pasteurisieren, kein Reifen wie beim Käse. „Ich glaube, gerade deswegen ist das Ei auch sehr emotional.“ Er selbst mag seins am liebsten als Spiegelei, „nicht zu fest, schon noch glibberig“, jeden Morgen – so wie Millionen Deutsche. 249 Eier wurden hierzulande pro Kopf im Jahr 2024 verzehrt, ein deutlicher Anstieg. „Ich glaube“, sagt Schönecke, „das Ei ist wieder in.“

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Die großen Negativschlagzeilen hat das Hühnerei hinter sich. Käfighaltung, Nitrofenskandal, Dioxinskandal, Schnabelstutzen, Kükentöten – Verbote, Verordnungen und Selbstverpflichtungen haben die Branche zu einer anderen, nach ökologischen und tierethischen Aspekten wohl besseren gemacht. Nirgendwo sonst gibt es heute einen so hohen Anteil an alternativen Haltungsformen wie in Deutschland.

Wobei manche politische Entscheidung zu Effekten führt, über die selbst Schönecke, der der kaltherzigen Ausbeutung seiner Tiere unverdächtig ist, nur den Kopf schütteln kann. Das Verbot des Tötens männlicher Küken etwa habe zur Folge, dass viele deutsche Brütereien zugemacht hätten. Mit dem Resultat, dass deutsche Eierproduzenten vermehrt Küken aus dem Ausland importieren, wo die berüchtigten Schredder weiter am Werk sind. „Es wäre uns lieber gewesen, wenn wir das noch ein bisschen besser verhandelt hätten“, sagt Schönecke, mit der rhetorischen Vorsicht eines Politprofis, der er als Präsident des Bundesverbands sein musste.

China in Neu Wulmstorf

Seit er nur noch einfaches Mitglied ist, kann er immerhin wieder ganz der Hühnerbaron sein. Seine Untergebenen kennt er dabei natürlich, weiß Gott, nicht beim Namen – aber auch das kann sich in dieser Branche bald ändern. Die Einzeltierbetrachtung wird kommen, durch KI-gestützte Kamerasysteme in den Ställen. Schönecke erwartet da große Sprünge in den nächsten Jahren, vor allem beim frühzeitigen Erkennen von Krankheiten. „Dann heißt es vielleicht: Emma ist heute nicht ins Nest gegangen, hat kein Ei gelegt und wenig gefressen.“

Sie werden hier wohl, sagt Schönecke, „ein bisschen China einführen“. Er meint das als Metapher für Überwachung. Und doch muss man direkt wieder an die USA denken. An den erratischen Präsidenten im Weißen Haus. An den Handelskrieg. An all den Irrsinn in der Welt, der sich in der Pfanne der Weltpolitik gerade zu einem Omelette vermengt, in dem alles mit allem zusammenhängt.

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Die Hühner auf Henner Schöneckes Hof sind manchmal fast zu beneiden, dass sie das alles nichts angeht.

#Wenn #das #plötzlich #die #Weltpolitik #bestimmt

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