Für den Bau des NSC hatten sich 45 Geberländer mit der Ukraine zusammengeschlossen und über anderthalb Milliarden Euro gesammelt; 10.000 Menschen aus 40 Ländern waren an dem Projekt beteiligt. Von der Vertragsunterzeichnung bis zur Inbetriebnahme der neuen Schutzhülle im Jahr 2019 vergingen fast zwölf Jahre.
Ischtschenko weist darauf hin, dass es noch keine vorläufige Einschätzung der durch den russischen Angriff entstandenen Schäden gebe. Die beauftragten Forschungsinstitute würden nach der Untersuchung eine entsprechende Berechnung durchführen.
“Die Strahlenwerte sind normal. Das Personal arbeitet weiter wie bisher. Nur das System zur Druckregelung funktioniert nicht mehr, und es wird eine leicht erhöhte Luftfeuchtigkeit gemessen. Das ist auf den Einschlag und den Druckabfall unterhalb der Hülle zurückzuführen, die nicht mehr dicht ist”, erläutert Ischtschenko.
Kann Radioaktivität austreten?
Experten zufolge geht von dem Druckabfall im NSC keine unmittelbare Bedrohung aus, doch es drohen andere Gefahren.
Es sei derzeit unmöglich, den alten Sarkophag sicher abzubauen, der 1986 unmittelbar nach der Tschernobyl-Katastrophe über dem zerstörten Kraftwerksblock errichtet wurde, sagt Dmytro Humenjuk vom Staatlichen Wissenschaftlich-Technischen Zentrum für Nuklear- und Strahlensicherheit der Ukraine.
“Derzeit erfüllt die Schutzhülle ihre Funktion nicht”
Dabei wurde die neue Schutzhülle genau zu diesem Zweck gebaut – denn der alte Sarkophag ist marode. Noch immer gibt es darin 18 instabile Träger. Es wird befürchtet, dass einer der drei Hauptträger jederzeit einstürzen könnte.
Sollten Teile der Konstruktion unter der nun beschädigten Schutzhülle zusammenbrechen, würde es zum Aufwirbeln des radioaktiven Staubs führen, so Humenjuk. Das könne den Austritt von Radioaktivität zur Folge haben. “Derzeit erfüllt die Schutzhülle ihre Funktion nicht, nämlich die Eindämmung der darunter befindlichen Spaltprodukte”, meint der Experte.
“Es wird unmöglich sein, die beschädigte Hülle vor Ort zu schweißen und zu reparieren”
Doch die Experten betonen, dass die Menschen weder Jodtabletten bevorraten noch nach Möglichkeiten für eine eventuelle Evakuierung suchen müssen. Sie bedauern aber, dass die gesamten Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft, die Geld für den Bau der Schutzhülle gesammelt hatte, nun praktisch dahin seien.
“Es wird unmöglich sein, die beschädigte Hülle vor Ort zu schweißen und zu reparieren, weil die Strahlenbelastung dort sehr hoch ist und die Arbeiter verstrahlt würden. Die Schutzhülle wurde in einiger Entfernung errichtet und auf Schienen über den alten Sarkophag geschoben. Da die Schienen inzwischen abgebaut sind, müssen wir etwas anderes machen”, erklärt Dmytro Humenjuk.
Doch Jan Vande Putte von Greenpeace Ukraine sieht für längere Arbeiten an der Schutzhülle nur einen Weg: “Aufgrund der hohen Strahlenwerte über dem Sarkophag wird man die gesamte Tschernobyl-Schutzhülle wohl auf Schienen wieder an den Ort schieben müssen, an dem sie errichtet wurde, bevor man die teuren Reparaturen wird durchführen können.” Wie viel sie kosten werden, ist laut dem Atomexperten noch völlig unklar.
Wie auf der Website des Atomkraftwerks berichtet wird, waren am 18. März Vertreter der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in Tschernobyl zu Besuch. Sie schauten sich die technischen Anlagen des NSC sowie den Bereich unter der Schutzhülle an und sprachen mit Vertretern der Verwaltung des Atomkraftwerks. Vorerst sollen 400.000 Euro von dem von der Bank betreuten Internationalen Tschernobyl-Kooperationskonto (ICCA) für eine Expertenbewertung der Schäden bereitgestellt werden.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk
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