
Ob dramatisch oder tragisch, herzerwärmend oder herzzerreißend. Filme, Serien und Bücher, die die Geschichte einer Familie erzählen, wie Downton Abbey oder die Buddenbrooks, erfreuen sich großer Beliebtheit. Dabei muss man gar nicht auf die Adelshäuser oder alte Kaufmannsfamilien und deren Historie blicken. Auch die eigene Familiengeschichte fasziniert viele Menschen und kann einige Überraschungen zutage fördern. Doch was fasziniert Menschen so an der Geschichte ihrer Vorfahren?
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Auslöser der Suche oft Wendepunkte im Leben
Ganz basal lässt es sich erst einmal mit folgender Antwort erklären: „Der Mensch hat Interesse am Menschen. Er ist ein soziales Wesen und setzt sich ständig mit und zu anderen Menschen in Beziehung”, sagt Rolf-Ulrich Kunze, Professor für Neuere und Neuste Geschichte in Karlsruhe. Sein Spezialgebiet und Herzensthema zugleich: die Familienhistorie. „Es ist etwas total Menschliches, sich einordnen zu wollen.“ Beispielsweise in einen Stammbaum oder in den Kontext einer Familiengeschichte.
Oftmals würde dieses Bedürfnis und die Fragen nach der Herkunft an besonderen Wendepunkten im Leben aufkommen, so seine Beobachtung. „Es gibt typische Momente wie das Ausziehen der Eltern ins Altersheim, oder wenn die Eltern sterben, in denen wir mit der Vergangenheit konfrontiert werden“, sagt Kunze. Meist hängen diese Momente mit dem Aussortieren in der Wohnung der Eltern und dem Entdecken von Dokumenten und Fotoalben auf dem Dachboden zusammen. Zwangsläufig kämen dabei Fragen nach der Herkunft auf. Denn: „In diesem Moment sind wir nicht nur mit der Vergangenheit der Eltern konfrontiert, sondern auch am Ende mit der eigenen Vergangenheit.“
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Wer sind meine Vorfahren? Und wo komme ich her? Fragen, die viele Menschen in ihrem Leben bewegen.
Quelle: imago images/Shotshop
In diesen Zeiten hätten Menschen außerdem oft ein Bedürfnis nach Orientierung, erklärt der Historiker. „Die Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte und damit auch mit der eigenen Biografie hat oft etwas Stabilisierendes und Trost spendendes“, weiß Kunze. Auch die Sinnsuche treibe viele Menschen in Zeiten der Veränderung um. „Wir positionieren uns damit in einem Familiengeflecht und fühlen uns als Teil von etwas Größerem. Unser eigenes Leben ergibt nur Sinn, wenn wir uns nicht alleine betrachten, sondern wir müssen uns in Verbindung mit anderen setzen.“
Reine Herkunftsforschung schnell problematisch
Die meisten Menschen denken bei Familienforschung wahrscheinlich eher an den klassischen Stammbaum. Dessen Erforschung gilt als beliebtes Hobby, Vorfahren können so über Generationen zurückverfolgt werden.
Kunze sieht das nicht ganz unkritisch: „Was mich als Familienhistoriker bekümmert, ist diese Fixierung auf das Thema Abstammung. Das kann hochproblematisch sein“, sagt der Historiker. Denn die Ahnenforschung wurde nicht zuletzt im Nationalsozialismus dazu missbraucht, den ‚Ariernachweis‘ zu erbringen und damit Menschen nach ‚Rassen’-Ideologie einzuteilen. Und heute, in einer multikulturellen Gesellschaft, sei die Frage nach der Abstammung schnell eine Waffe des Otherings, also der Unterscheidung zwischen ‚uns‘ und ‚den anderen‘, so Kunze. Deutscher ist eben längst nicht mehr nur, wer von Deutschen abstamme. Außerdem merkt der Zeithistoriker an, dass Mitteleuropa seit jeher ein klassischer Durchgangsraum für Migration war.
Kunze will diese Haltung natürlich nicht allen Stammbauminteressierten unterstellen. Allerdings sei der Weg zum unterschwelligen, unreflektierten Alltags-Rassismus oft kurz. Die Abstammung hätte zwar im Sinne von Erbschaften oder Unterhaltsrecht in unserem Alltag eine Relevanz, doch welche Erkenntnisse dahinterstecken, sei oft unklar. „Was will man damit beweisen?“, fragt Kunze. Auch die aktuell kursierenden Tests, bei denen die eigene DNA ausgewertet wird, um über die geografische Herkunft Aussagen zu treffen, sind aus seiner Sicht daher kritisch zu betrachten.
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In vergangene Lebenswelten eintauchen
Viel interessanter, erklärt Kunze, sei doch, wie Vorfahren gelebt hätten und was dessen Leben mit uns zu tun hat. „Das werden Sie aus einem Stammbaum nicht herauslesen können“, sagt der Geschichtsprofessor. Viele Menschen würden gar nicht verstehen, welch ein Wissen in alten Fotoalben steckt, sagt Kunze. „Das ist ein Fundus unserer Zivilgesellschaft, der uns zeigt, wie sich die Welt entwickelt und verändert hat. Es ist ein Spiegel der Gesellschaft.“
Rolf-Ulrich Kunze ist Professor für Neuere und Neuste Zeitgeschichte in Karlsruhe.
Quelle: Rolf-Ulrich Kunze
Sophia Merkel hat sich aus genau diesen Gründen auf die Spurensuche in ihrer Familiengeschichte begeben. Wie viele beschäftigte Merkel der Gedanke, wie die Großeltern im Nationalsozialismus gelebt haben. „Ich habe immer gedacht, dass es doch furchtbar gewesen sein muss, als Kind im Krieg zu leben.“
Auch die Frage, wie die Großeltern zu dem Regime standen, trieb sie um. Sie entschied sich zu Beginn ihrer Recherche, mit ihrer Großmutter ausführliche Gespräche zu führen, um mehr über deren Leben herauszufinden. „Ich hatte das Glück, dass meine Großmutter schon immer recht viel erzählt hat und offen war, auch über den Krieg zu sprechen.“ Sie erfuhr dabei viel über das alltägliche Leben während des Zweiten Weltkriegs und wie es beispielsweise in den Jugendorganisationen der Nationalsozialisten zuging. „Da bekommt die Geschichte nochmal eine andere Nähe und Bedeutung.“
„Die Geschichte besteht aus verwandten Gesichtern“
Oft würde von oben auf die Vergangenheit geschaut, erklärt Kunze. Bei solch einem distanzierten Blick auf die großen politischen Ereignisse in der Zeitgeschichte würden die Einzelnen nur als statistische Größe ohne Gesicht vorkommen. „Erst durch die Einzelschicksale werden Graustufen der Geschichte sichtbar. Sie hat mit Menschen zu tun und besteht am Ende aus verwandten Gesichtern“, sagt der Historiker. „Auf einmal ist es nicht mehr die Geschichte der anderen, sondern es geht einen direkt etwas an.“
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Aus Kunzes Sicht wäre es für jeden ein Gewinn, sich mit der eigenen Familiengeschichte zu befassen. Denn am Ende begegnet man dabei immer wieder sich selbst, erklärt der Historiker – und obendrein der Frage: „Wie hätte ich auf bestimmte Herausforderungen oder Situationen reagiert?“
Das Leben und wir
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Auch Merkel beschäftigte immer wieder diese Frage. „Viele sagen heute: Was geht mich die Vergangenheit an. Aber ich habe Bilder von meinen Großeltern in Uniformen der Hitler-Jugend oder dem Bund deutscher Mädels. Wir müssen immer noch lernen, zu verstehen, wie es zum Nationalsozialismus gekommen ist.“ Bei ihr persönlich hätte die Aufarbeitung der Geschichte ihrer Familie einiges angestoßen: „Ich bin mir noch einmal bewusster geworden, wie wichtig mir meine Werte und Grundsätze sind und dass ich an diesen klar festhalten muss.“
Bei der Familienforschung komme es zu vielen Aha-Erlebnissen, aber auch zu Schockmomenten, erzählt Kunze. Auch Konflikte oder Traumata in der Familie können dabei zutage treten. Oftmals könnten die Ereignisse der Vergangenheit auch viele Antworten für die Gegenwart liefern. „Viele Menschen wissen zu Beginn ihrer Suche gar nicht, was sie bei der Recherche zutage fördern können.“
Doch wo beginnt man überhaupt mehr über seine Verwandten und Vorfahren herauszufinden?
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Wo beginnen bei der Suche nach der Familiengeschichte?
Zuallererst sollte man bei sich selbst anfangen. Was weiß ich selbst über meine Familiengeschichte? Kunze rät außerdem, mit noch lebenden Verwandten und Nachbarn zu sprechen, die etwas wissen könnten, so wie Sophia Merkel es getan hat. Also Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu befragen, um Antworten oder Anhaltspunkte zu bekommen. „Oft ist die Familiengeschichte zudem ein guter Grund, wieder in Kontakt mit Verwandten zu treten“, so Kunze.
Allgemein rät Kunze, bei der Suche offen und geduldig zu sein. „Besonders bei den Gesprächen ist es wichtig, nicht mit zu großen Erwartungen heranzugehen.“ Erwarten könne man viel an Hintergrund, weniger zu einzelnen Fakten oder zeitgeschichtlichen Wendepunkten. Sinnvoll seien Fragen danach, wie sich eine bestimmte Situation angefühlt und welche Rolle das Erlebte im späteren Leben gespielt habe. Merkel betont zudem, wie wichtig es ist, sensibel vorzugehen. „Man weiß nie, welche alten Wunden man dabei aufreißt“. Wer sich schwertut, direkt Fragen zu stellen, dem rät Merkel das gemeinsame Sichten von Fotoalben, als einen niedrigschwelligen Einstieg zu wählen.
Einzelne Erzählungen mit Vorsicht genießen
Merkel merkt allerdings an: „Es sind subjektive Erzählungen, je nach Zeitpunkt des Gesprächs kann das Erlebte noch einmal neu verarbeitet oder die Geschichten durch andere Dinge beeinflusst sein.“ Die Informationen sollte man beispielsweise mit der regionalen Geschichte des Ortes und anderen Dokumenten abgleichen. Relevante Dokumente sind beispielsweise Geburts-, Ehe- und Sterbeurkunden sowie Testamente und Fotos.
Wer über die grundlegenden Informationen hinaus genaueres herausfinden will, kann sich mit den Dokumenten an regionale und kommunale Archive wenden, aber auch an das Landes- und Bundesarchiv. Ebenso können Ämter wie Kirchen- und Standesämter und veröffentlichte Ortschroniken sowie Regionalgeschichten hilfreich sein.
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Auch online lassen sich diverse Datenbanken wie MyHeritage, ancestry oder Familysearch zur Familienforschung finden. Diese sind meist kostenpflichtig, aber ein niedrigschwelliger Einstieg, um mehr über die Vorfahren herauszufinden.
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