Uncategorized

Wie es sich auf Grönland lebt

So richtig passend erscheint der Name nicht: Grönland, „grünes Land“. Er geht zurück auf den sagenumwobenen Wikingerhäuptling Erik der Rote. In wohlwollender Lesart kann man ihn als mittelalterlichen Marketingtrick durchgehen lassen, gerade im Vergleich zur Nachbarinsel Island: Die schafft es heutzutage wegen Lava speiender Vulkane immer mal wieder in die Schlagzeilen, und Touristen lieben sie, allein wegen eines Bades in den heißen Quellen. Und doch trägt sie das Wort „Eis“ im Namen – während Grönland von einem dicken Eispanzer bedeckt ist. Ein unwirtlicher Ort. Verdrehte Welt am Rande der Arktis.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Nuuk, die kleine, rund 20.000 Einwohner zählende Inselhauptstadt an der Westküste Grönlands, bietet mir bei meinem Besuch einen frostigen Empfang. Als ich die Treppe aus dem Flieger auf dem erst im November vergangenen Jahres eröffneten internationalen Flughafen heruntersteige, schlägt mir eine Eiseskälte entgegen. Die Wetter-App hatte schon vor der Abreise aus Deutschland angezeigt, dass es hier oben im Februar zweistellige Minusgrade sein würden. Kalt ist kalt. Doch dass der Wind so schneidend sein würde, überraschte mich dann doch.

Im November wurde der neue internationale Flughafen Nuuks eröffnet. Hier wartet mein Mietwagen bereits auf mich.

Im November wurde der neue internationale Flughafen Nuuks eröffnet. Hier wartet mein Mietwagen bereits auf mich.

Die gefühlte Temperatur, so weiß es das Handy, soll bei –20 Grad Celsius liegen. Also schnell ins Terminal, Koffer holen, ab zum Mietwagen. Eine der vielen Fragen, die ich vor Beginn der Reise hatte, lautete: Wird das Auto denn überhaupt verlässlich anspringen unter den harschen Wetterbedingungen?

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Der Motor startet problemlos. Auch das Fahren auf den schneebedeckten Straßen ist, dank Winterreifen mit Spikes, erstaunlich unkompliziert. Schnell gewöhne ich mich daran, wie es ist, den Kleinwagen durchs Schneegestöber und über die gut vereisten Nebenstraßen zu steuern.

Plötzlich empfinde ich Minusgrade als wohlig warm

Wie andere Menschen bei dieser Witterung jedoch Radfahren können – oder gar joggen -, erschließt sich mir als Nicht-Einheimischem beim besten Willen nicht. Vielleicht haben die Grönländer ein ganz anderes Gefühl für die Kälte. Meines scheint verwirrt zu sein: Minusgrade im Autoinneren empfinde ich als wohlig warm. Der Schnee, der an den Brems- und Gaspedalen von meinen Stiefeln abgefallen ist, schmilzt jedoch einfach nicht. Auch nach Tagen liegt er im Fußraum des kleinen Mitsubishis. Trotz Heizung.

Minusgrade im Auto: Der Schnee in Nuuk schmilzt nicht.

Minusgrade im Auto: Der Schnee in Nuuk schmilzt nicht.

Angesichts der Kälte ist es schwer vorstellbar, wie hart das Leben als Wohnungslose oder Wohnungsloser auf Grönland sein muss. Allein in Nuuk gibt es einige Hundert Menschen, für die das jedoch Alltag ist. Bei der kurzen Stippvisite von Donald Trumps ältestem Sohn zu Beginn des Jahres rückten sie in den Fokus: Trump jr. lud Obdachlose zu einem edlen Abendessen ein. Nicht aus selbstloser Mildtätigkeit, sondern damit sie als vermeintliche Fans seines Vaters mit „Make America Great Again“-Caps in Propagandavideos auftraten.

Obdachlos bei zweistelligen Minusgraden

Um mehr über die Obdachlosigkeit in Grönland zu erfahren, spreche ich mit Nathanael Münch. Der Korpsleiter der Heilsarmee in Nuuk berichtet viel über Dinge, die Hoffnung machen, die sich zuletzt zum Besseren gewandelt haben: Etwa, dass es immer mehr Schlafplätze in Containern gibt oder Wärmestuben, die nicht nur in der Hauptstadt ein Anlaufpunkt für Hilfesuchende sind.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Nuka Pivdluarnartok Amiinnaq (38) ist obdachlos. Er vermisst seine Kinder.

Nuka Pivdluarnartok Amiinnaq (38) ist obdachlos. Er vermisst seine Kinder.

Die Heilsarmee bietet im „Williams Café“ am Rande des Nuuker Stadtzentrums einen solchen Treffpunkt an. Die Begrüßung ist freundlich, der Kaffee steht auf dem Tisch. Einige spielen Karten, andere nutzen die PCs. Münch greift zur Gitarre und stimmt fromme Psalmen an. Hier drinnen herrscht wohlige Wärme, auch wenn nicht wenige Café-Besucher ihre Jacken anbehalten.

Ich komme mit einigen der Gäste ins Gespräch. Da ist zum Beispiel Nuka Pivdluarnartok Amiinnaq. Der 38-Jährige erzählt von seinen drei Kindern und wie sehr er sie vermisst. Sie bald wiederzusehen, das ist sein größter Wunsch, und dass er bald wieder ein Dach über dem Kopf hat.

„Ich muss hier hingehen, um zu überlegen.“

Svend Jensen (42),

Besucher von „Williams Café“ in Nuuk

Auf eine eigene Wohnung hofft auch Svend Jensen (42). Jeden Morgen müsse er die Obdachlosenunterkunft verlassen und angesichts der Minusgrade bleibe ihm kaum eine andere Möglichkeit, als dann zur Heilsarmee zu gehen. „Ich muss hier hingehen, um zu überleben“, sagt er.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Obdachlose in der Suppenküche der Heilsarmee in Nuuk: Der Vater von Svend Jensen (42) ist an Krebs gestorben. Das hat ihn aus der Bahn geworfen. Seine Mutter hatte die Familie früh verlassen.

Obdachlose in der Suppenküche der Heilsarmee in Nuuk: Der Vater von Svend Jensen (42) ist an Krebs gestorben. Das hat ihn aus der Bahn geworfen. Seine Mutter hatte die Familie früh verlassen.

Jensen stammt aus Sisimiut, mit etwa 5500 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes. Sein Vater war Fischer. Die Mutter sei gegangen, da war er noch ein Baby. Als er sieben war, zog er mit seinem Vater nach Nuuk. Vergangenes Jahr starb dieser an Krebs. Das habe ihn aus der Bahn geworfen, sagt Jensen. Er habe sich noch um Hilfe bemüht, aber nirgends welche bekommen. Und dann sei er auch schon aus der Wohnung geflogen.

Ein ganzes Kontinuum an Problemen

In den Erzählungen der Männer im Café klingen Probleme in der grönländischen Gesellschaft an, die der Heilsarmee-Chef genauer anspricht – die Schwächen des Schulsystems und dass viele Menschen auf der Insel keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Wer vor den eigenen Problemen flüchten will, verliert sich allzu oft in Drogen wie Alkohol und Marihuana, sagt Nathanael Münch. „Die Menschen benutzen Weed, um sich nicht kümmern zu müssen.“ Um gar nichts. Wer seine Miete nicht mehr zahlen kann, rutscht schnell ab. Auf dem freien Wohnungsmarkt der rasant wachsenden Stadt Nuuk seien die Mieten exorbitant hoch, so Münch.

Nathanael Münch leitet die Heilsarmee in Nuuk. Alkohol und Marihuana sorgen dafür, dass sich viele Menschen nicht um ihre Probleme kümmern, sagt er.

Nathanael Münch leitet die Heilsarmee in Nuuk. Alkohol und Marihuana sorgen dafür, dass sich viele Menschen nicht um ihre Probleme kümmern, sagt er.

Schließlich kommt Münch noch auf die statistisch gesehen hohe Zahl an Selbstmorden zu sprechen. Oft stehen sie im Zusammenhang mit Trunkenheit, sagt der Heilsarmee-Leiter. Die Situation im Land hat seiner Meinung nach auch zu tun mit den tiefgreifenden und rasanten Veränderungen, die die Bevölkerung seit den 50er-Jahren erlebt hat, seitdem die Insel offiziell nicht mehr eine Kolonie ist, sondern Teil des Königreichs Dänemark. Bis dahin abgeschirmt von der Außenwelt, brach die moderne Welt über die traditionelle grönländische Lebensweise hinein. Fischer und Jäger wurden auf einmal zu Fabrikarbeitern. Einst bewunderte Fähigkeiten, von Generation zu Generation weitervererbt, zählten plötzlich nicht mehr. Die Menschen mussten – teilweise zwangsweise – in die Plattenbau-Wohnsiedlungen umziehen.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Viele Studenten arbeiten bereits

Von diesen Umbrüchen erzählt auch die deutsche Studentin Norja Walther. Ihr Freund Niklas stammt aus dem Osten der Insel, sein Großvater hat dort noch in einem der traditionellen Erdhäuser gewohnt, sagt die 25-Jährige bei einem Treffen in einem kleinen, gemütlichen Café. Dort, in einer Ecke, hat sie ihre Bachelorarbeit in weiten Teilen verfasst.

Norja Walther kam als Austauschstudentin - und blieb. Jetzt macht sie ihren Master an der Uni von Nuuk.

Norja Walther kam als Austauschstudentin – und blieb. Jetzt macht sie ihren Master an der Uni von Nuuk.

Dass das so kam, war nicht geplant: Ursprünglich hatte sich Norja Walther lediglich zu einem Austauschsemester nach Grönland aufgemacht. Einmal in Nuuk wollte sie jedoch nicht mehr zurück nach Deutschland. Angetan haben es ihr, so erzählt sie, die Ruhe und Gelassenheit im grönländischen Alltag. Ihr gefällt das Studium an der Uni in Nuuk, wo sie inzwischen das Masterprogramm arktische Gesellschaftswissenschaften eingeschrieben ist.

Mit abstrakten Diskussionen im akademischen Elfenbeinturm habe das nämlich so rein gar nichts zu tun. Immer gehe es um ganz handfeste Probleme und konkrete Lösungen, so die junge Frau. Das liege hauptsächlich daran, dass viele der rund 500 Studentinnen und Studenten in Nuuk schon fest im Berufsleben stehen und ihren Uni-Abschluss berufsbegleitend anstreben. Das Durchschnittsalter der Studierenden liegt bei Mitte 30, viele haben Kinder.

An der Universität von Nuuk werden Fachleute für die Wirtschaft und Verwaltung der Insel ausgebildet.

An der Universität von Nuuk werden Fachleute für die Wirtschaft und Verwaltung der Insel ausgebildet.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Gerade jetzt im Winter, wo die Busse teils ihren Fahrbetrieb einstellen, können die Studierenden häufig nicht zur Uni kommen. Der Ausbau von hybriden Lehrveranstaltungen müsse daher Priorität haben, sagt Norja – auch mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie, Job und Studium. Dafür müsste jedoch auch das Internet besser und billiger werden.

Im Gespräch mit Norja Walther und anderen Studenten erfahre ich, wie wichtig die Universität ist, um endlich mehr grönländische Fachkräfte für die Verwaltung und die Unternehmen auf der Insel auszubilden. Insbesondere Frauen hätten ein großes Interesse daran, sich akademisch zu bilden.

Auch dabei gibt es ein Problem: Nicht wenige gehen dafür nach Kopenhagen – und bleiben dann in Dänemark, auch weil sie sich dort verlieben. Aus dem Königreich hingegen sind es vorwiegend Männer, die für Jobs in der Fischfangindustrie nach Grönland kommen. Folge ist ein Männerüberschuss in der grönländischen Gesellschaft.

An seiner Kapazitätsgrenze: Der neuere Friedhof Nuuks unweit der Universität.

An seiner Kapazitätsgrenze: Der neuere Friedhof Nuuks unweit der Universität.

Kirche hofft auf ein Krematorium

Bei meinem nächsten Besuch treffe ich John Johansen, Pastor an der Hans-Egede-Kirche. Von ihm erhoffe ich mir die Antwort auf eine zugegebenermaßen etwas abseitige Frage: Wie beerdigt man Tote im Permafrostboden? Johansen lacht. Dafür gebe es doch Maschinen. Doch tatsächlich sei das Bestatten der Toten gar nicht so leicht, denn auch der neue Friedhof komme in der wachsenden Stadt an seine Kapazitätsgrenze. „Wir hoffen, dass bald ein Krematorium gebaut wird. Darauf warten wir schon lange“, sagt er.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Die Verstorbenen zu verbrennen – das wäre noch einmal ein ganz neuer Totenkult auf Grönland. Einst haben die Inuit ihre Verstorbenen im Meer bestattet, so zeigt es das Nationalmuseum am alten Kolonialhafen. Dort sind die fünf Jahrhunderte alten Eis-Mumien von Qilakitsoq zu sehen, vielleicht der wertvollste kulturhistorische Schatz der Insel. Die lange Zeit üblichen überirdischen Steingräber wurden erst mit den dänischen Missionaren, die im 18. Jahrhundert mit Eifer das Christentum zu den Inuit brachten, durch die bis heute vorgeschriebene Erdbestattung abgelöst.

Nationaler Schatz: Eisleiche im historischen Museum von Grönland.

Nationaler Schatz: Eisleiche im historischen Museum von Grönland.

Eine, die später einmal auf keinen Fall im Permafrostboden bestattet werden will, ist Rakel Kristiansen. Die Schamanin will lieber in einem Steingrab oberhalb des Erdbodens ihre letzte Ruhe finden. Ich treffe sie in ihrem Studio, auf dem Boden liegt das Fell eines Eisbären. Verwandte haben das Tier im Norden selbst geschossen, sagt sie. An den Wänden hängen Trommeln aus Robbenhaut.

In diesem Raum versetzt Kristiansen andere Menschen in Trance. „Ich bin im Dienst der Geister. Ich tue, was sie von mir verlangen“, sagt sie und ergänzt, dass die Ahnen zu ihr sprächen. Was sie praktiziere, habe mit „Heilung“ zu tun. Die Ursache für das Leid der Menschen liegt oft in der Kolonialgeschichte, sagt die Frau mit den rosa Haarsträhnen. Sie nennt ein Beispiel von einem Mädchen, das bei der Polizei anzeigen wollte, wie sie von ihrem dänischen Vater missbraucht wurde. Dort habe man ihr nicht geglaubt – weil man Grönländerinnen und Grönländern generell nicht glaube. „Und sie war nicht die einzige“, sagt sie, mit festem Blick und zitternder Stimme.

Rakel Kristiansen ist Schamanin. Sie sagt, was sie tut, trage zur Heilung bei.

Rakel Kristiansen ist Schamanin. Sie sagt, was sie tut, trage zur Heilung bei.

Kristiansen hat vor gut zehn Jahren öffentlich gemacht, dass sie von ihrem Vater, einem Dänen, missbraucht wurde. Über die medikamentöse Behandlung, die ihr anschließend in der Psychiatrie widerfahren ist, hat sie sich wiederholt kritisch geäußert. All das brachte ihr viele Anfeindungen ein. Mit dieser Vorerfahrung sei der Schritt, als sogenannte Angakker in die Öffentlichkeit zu treten, gar nicht mehr so groß gewesen, sagt sie. Mittlerweile unterrichtet die Schamanin nach eigenen Angaben etwa einhundert Menschen darin, Geistern zu begegnen.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Die Begegnung mit Kristiansen hallt noch lange nach, auch weil sie einen Einblick in die uralten Traditionen der Inuit gegeben hat. Einen kleinen Einblick, nur eine vage Ahnung vom Reichtum der spirituellen Überzeugungen und des kulturellen Erbes der Ureinwohner auf dieser Insel am Rande der Arktis.

#Wie #sich #auf #Grönland #lebt

Related Articles

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Back to top button

Adblocker Detected

Please Turn off Ad blocker