
Frankfurt am Main. Nach der Sitzung der Wirtschaftsweisen und vor dem Rückflug in die USA nimmt sich Ulrike Malmendier noch die Zeit für ein Interview per Telefon: Die Wirtschaftswissenschaftlerin, die an der Elite-Uni in Berkeley lehrt und forscht, wirbt mit Verve für einen mutigen Wandel in der deutschen Industrie und fordert dafür den Aufbau einer „Wagniskapitalindustrie“. Versicherungen müsse dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Vom neuen Bundeskanzler erwartet sie eine Führungsrolle bei der Stärkung der Europäischen Union.
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Frau Malmendier, kommen Sie bei all den sich überschlagenden Ereignissen in Politik und Wirtschaft noch mit?
Ich frage inzwischen vor jedem Interview die Journalisten, ob es Neuigkeiten gibt. Beim Sachverständigenrat führen wir mittlerweile intern eine Tabelle mit den neuesten Entwicklungen, die ständig aktualisiert wird.
Wie beurteilen Sie die Reaktionen der deutschen Politik auf Trumps Handelskrieg?
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Wichtig ist jetzt, so schnell wie möglich eine handlungsfähige Regierung zu haben. Insofern freut es mich, dass der Koalitionsvertrag relativ schnell zustande kam. Da war die geopolitische Situation vielleicht sogar hilfreich, um die Sache zu beschleunigen. Jetzt ist es ganz, ganz wichtig, Ruhe und Klarheit in die wirtschaftspolitischen Leitlinien zu bringen.
Wissen die handelnden Personen denn, in welche Richtung es gehen muss?
Ich sehe ein starkes Bewusstsein darüber, dass sich die geopolitische Lage verschoben hat. Ich erhoffe mir schon, dass Deutschland auf europäischer Ebene nun eine Führungsrolle übernimmt. Wichtig ist, dass dieses europäische Handeln Chefsache ist und bleibt. Die Europäer müssen enger zusammenrücken, und das wird nur mit Einsatz und Nachdruck von ganz oben passieren.
Die Transatlantikerin
Ulrike Malmendier ist Professorin an der Elite-Uni in Berkeley (Kalifornien) und seit September 2022 Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft – auch Wirtschaftsweise genannt. Sie studierte Volkswirtschaftslehre und Jura an der Universität Bonn, wo sie in Jura promovierte. Eine zweite Promotion erwarb sie in Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Unternehmensfinanzierung, in der Verhaltens- und Organisationsökonomie sowie in der Vertragstheorie.
Wo stehen wir bei der europäischen Integration?
Das Projekt der Europäischen Union ist immer wieder ins Stocken gekommen. Der Binnenmarkt ist noch nicht so richtig vollendet. Es gibt alle möglichen indirekten Zölle, zum Beispiel weil es unterschiedliche Aufsichtsbehörden gibt, weil es unterschiedliche Normierungsvorschriften gibt. Das abzuschaffen und einen wirklich großen Binnenmarkt von fast 500 Millionen Menschen in der EU zu schaffen, wäre enorm wichtig, um ökonomisch stark zu sein.
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Reicht das?
Genauso dringend brauchen wir eine Kapitalmarktunion, damit Unternehmen ungehindert grenzüberschreitend investieren können. Dies sollte die neue Regierung mit großem Druck voranbringen. Diese Fokussierung darf nicht untergehen in innenpolitischen Streitigkeiten darüber, wie das Rentensystem nun genau reformiert oder der Mindestlohn verändert werden soll.
Als Ökonomin geht es Ihnen gar nicht primär um Ökonomisches, sondern um die politische Einheit Europas?
Die Chance der europäischen Einigung ist schon sehr stark wirtschaftspolitisch. Wir haben in dieser neuen Weltordnung nur eine Chance, wenn wir die Stärke Europas als gemeinsamen Markt nutzen. Auch bei den Themen Energieversorgung und Rüstung müssen wir gemeinsam und entschlossen handeln.
Mit undifferenzierter Subventionierung werden womöglich Unternehmen am Leben erhalten, die nicht viel Potenzial haben.
Ulrike Malmendier, Wirtschaftsweise
Im Koalitionsvertrag geht es um viele Details zum Beispiel um neue Steuervergünstigungen, um die notorische Investitionsschwäche der Firmen zu beheben. Zu viel Kleinkram?
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Was mir an der degressiven Abschreibung gefällt, ist, dass es ein Schritt ist, der sofort wirkt. Mit solchen Maßnahmen tun wir Europäer uns häufig schwer. Man hätte bei diesem Instrument den Horizont sogar noch etwas verlängern können. Auch die geplante Senkung der Körperschaftssteuer und der Stromkosten hilft den Unternehmen.
Aber?
Ich habe ein bisschen Angst, dass da ein Beigeschmack entsteht, dass die künftige Bundesregierung mit traditionellen wirtschaftspolitischen Instrumenten an die Wachstumsphase der 1980er-Jahre anknüpfen will. Aber so geht es leider nicht. Die Art von Produkten, die wir jetzt brauchen, die Art von Technologien, mit denen wir jetzt Wachstum erzielen, sind andere als vor 40 Jahren. Mit undifferenzierter Subventionierung werden womöglich Unternehmen am Leben erhalten, die nicht viel Potenzial haben. Vielleicht sollte man Platz machen für jüngere Unternehmen, für neue Technologien. Wir müssen überlegen, wie die Erfolgreichen unter den Startups wirklich groß werden können. Dies spielt in Deutschland derzeit aber leider eine untergeordnete Rolle.
Kann Startup-Förderung denn Arbeitsplätze sichern?
Darum müssen wir uns bemühen. Es sollte ein vordringliches Anliegen der Politik sein, den Übergang in andere Unternehmen einfacher zu gestalten. Denn wir werden nicht daran vorbeikommen, dass es einen verschärften Strukturwandel gibt, dass andere Arten von Industrien langfristig die neuen Motoren unserer Wirtschaft sein müssen – nicht mehr nur die drei Säulen Automobil, Maschinenbau, Chemie.
Die Grundlagen für neue Industrien kommen aus Wissenschaft und Forschung. Da steht Deutschland doch gar nicht so schlecht da?
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Unsere Exzellenz in der Forschung ist durchaus vorhanden. Wir haben ein wirklich einzigartiges System: mit den Max-Planck-Instituten und ihrer Grundlagenforschung. Es gibt die Fraunhofer- und Leibniz-Institute, die die angewandte Forschung fördern. Wir bringen auch die richtigen Talente in die Wirtschaft.
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Wo liegt dann das Problem?
Dadurch, dass wir so extrem erfolgreich waren in den traditionellen Industrien, leiden wir nun unter dem klassischen Problem, dass die Platzhirsche leider als letzte merken, dass ihre Produkte nicht mehr angesagt sind. Das bekannteste Beispiel ist die Trägheit, mit der die Automobilindustrie vom Verbrenner zum Elektroantrieb wechselt.
Was ist der Grund dafür, dass sich das Neue nicht durchsetzt?
Es gibt in Deutschland inzwischen sogar eine gute Startup-Förderlandschaft mit der KfW und anderen Institutionen. Das Riesenproblem ist aber: Wenn sich eines der Startups als wirklich erfolgreich erweist, dann stehen oftmals keine größeren Finanzierungsmöglichkeiten bereit. Wir haben ein Finanzsystem, das auf die traditionellen Industrien ausgerichtet ist, wo der Bankmitarbeiter den Kredit für die Präzisionsmaschine gewährt und die Maschine als Sicherheit nimmt. Wenn aber ein Student mit einem KI-System kommt, mit dem firmeninterne Prozesse massiv beschleunigt werden, dann kann der Bankmitarbeiter damit weniger anfangen.
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Sie fordern mehr Wagniskapital?
Wir brauchen eine Wagniskapitalindustrie, die auch größere Finanzierungsrunden stemmen kann. Da hinken wir hinterher.
Fehlt es uns an Milliardären, denen es nichts ausmacht, bei einem Investment auch mal 10 oder 20 Millionen Euro in den Sand zu setzen?
Bei Family-Offices von wohlhabenden Menschen stehen wir gar nicht so schlecht da. Aber die maßgeblichen Kapitalsammelstellen sind im Ausland die großen Pensionskassen, die Teile ihres Geldes als Wagniskapital zur Verfügung stellen, was sich für diese Pensionskassen auch wirklich rentiert. Solche Pensionskassen für eine kapitalgedeckte Altersversorgung wären zudem sehr hilfreich für unser nicht mehr finanzierbares Rentensystem.
Wer soll das anpacken?
Wir haben große Versicherungen. Die zieren sich aber – auch aufgrund der etwas merkwürdigen Art der Lebensversicherung mit garantierten Renditen, was wiederum dazu führt, dass die Versicherungen in sichere Festverzinsliche investieren und nicht in Wagniskapital. Dahinter steckt aber auch ein kulturelles Problem: Die Versicherer müssten sich einen Schubs geben. Selbst eine Verdopplung des sehr geringen Anteils an riskanteren Investments würde schon wirken. Initiativen, die in diese Richtung gehen, sollten von der neuen Regierung angepackt werden.
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Machen es die Amerikaner wirklich besser? Dort wurde die Industrie runtergewirtschaftet – zu einer kaum mehr wettbewerbsfähigen Stahlindustrie und zu Autobauern, die technologisch schon lange nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind.
Der Verfall der klassischen Verarbeitungsindustrie in den USA ist in der Tat ein seit Jahrzehnten anhaltender Prozess. Aber es handelt sich dabei um einen ziemlich unabwendbaren Prozess in fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Stattdessen haben die USA auf IT und KI gesetzt und können so an den enormen Produktivitätsgewinnen durch Hightech teilhaben. Weil es dort Geldgeber gibt, um auch riskante Projekte voranzutreiben.
Aber die Ex-Stahlarbeiter sind zurückgeblieben und müssen sich jetzt mit prekären Jobs durchschlagen.
Durch die strukturellen Verschiebungen gibt es Verlierer, obwohl die gesamte Wohlfahrt in den USA gestiegen ist. Um die Verlierer muss man sich besonders kümmern, sie brauchen Weiterbildungsmöglichkeiten und eine Perspektive für die Zukunft. Da müssen wir alle dazu lernen – auch in Deutschland.
Um einen deutschen Trump zu verhindern?
Mit der Transformation in der klassischen Industrie haben die USA besonders große Schwierigkeiten. Menschen, die im Rust Belt leben, sind vielfach völlig verzweifelt – was auch zum enormen Anstieg von Drogenmissbrauch und hoher Sterblichkeit beigetragen hat. Das hat zu einer politischen Polarisierung geführt. Dort hat Trump eine Plattform gefunden. Er hat den Menschen versprochen: „Wenn wir die Zölle hochziehen, dann kann euch keiner mehr die Jobs wegnehmen und alles wird wieder gut.“ Was natürlich nicht stimmt. Der Wandel kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wir können aber davon lernen, wie wichtig es ist, diejenigen mitzunehmen, die vom Strukturwandel negativ betroffen sind, auch aus ökonomischer und politischer Sicht.
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Beim geplanten Stellenabbau sollte es den betroffenen Mitarbeitern extrem attraktiv gemacht werden, an der Zukunft des Autos mit Elektroantrieb mitzuarbeiten.
Ulrike Malmendier über den Umbau der Volkswagen-Konzerns
In dieser Hinsicht hat Deutschland doch einiges zu bieten? Vom Kurzarbeits- bis zum Bürgergeld.
Ich finde, wir sind da aber längst noch nicht gut genug: Es reicht nicht, den Menschen Bürgergeld oder andere Zahlungen zu gewähren. Man muss echte Zukunftsperspektiven schaffen, und zwar indem man zukunftsorientierte Qualifikationen niederschwellig zugänglich macht.
Wie sollte das konkret aussehen?
Beispiel VW: Beim geplanten Stellenabbau sollte es den betroffenen Mitarbeitern extrem attraktiv gemacht werden, an der Zukunft des Autos mit Elektroantrieb mitzuarbeiten. Das muss Hoffnung geben, da müssen die Menschen mitgestalten können, persönliche Erfolge müssen vorhersagbar sein. Das ist gar nicht so schwer, aber wir haben diese Aspekte bislang nicht auf dem Radar gehabt. Das können wir uns schlichtweg nicht mehr leisten. Denn zugleich haben wir viel zu wenig Arbeitskräfte in Deutschland. Wir müssen sicherstellen, dass jedes einzelne Talent genutzt wird.
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Und nebenbei muss Deutschland auch noch seine Infrastruktur schnellstmöglich runderneuern. Können wir das alles überhaupt bewältigen?
Es muss der Regierung gelingen, langfristig, über mindestens zehn bis zwölf Jahre in die Infrastruktur zu investieren. Denn vielfach waren bislang Firmen, die etwa Bahntrassen ausbauen, nicht bereit, in die nötigen Maschinen zu investieren, weil nicht sicher war, wie lange sie Aufträge erhalten. Dadurch wurden Investitionen teuer. Es gibt jetzt eine reale Chance, es besser zu machen. Zugleich habe ich große Sorge, dass diese Chance verpasst wird. Ich persönlich werde aber als wirtschaftspolitische Beraterin der Bundesregierung alles tun, damit wir das hinkriegen.
#Wir #brauchen #ein #neue #Industrie